'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (2024)

München - Bernhard Liess (54) ist gebürtiger Münchner und studierter Theologe, er ist Stadtdekan der evangelischen Kirche in München und predigt in der Markuskirche in der Maxvorstadt. In der AZ spricht er darüber, welche Bedeutung Ostern auch heute noch für die Menschen hat. Und darüber, wie man in modernen Zeiten Menschen wieder zurück in die Kirche bringen kann.

AZ: Herr Liess, es ist Ostern. Einige Sender werden bestimmt wieder den Satire-Klassiker zum Christentum "Das Leben des Brian" ausstrahlen. Wann würden Sie von Blasphemie sprechen?
BERNHARD LIESS: Ein sehr intelligenter Film! Ehrlich gesagt, von Blasphemie zu sprechen, da bin ich sehr zurückhaltend. Ich bin der Überzeugung, dass man als Mensch Gott nicht beleidigen kann.

'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (1)

Der Gruppe um Monty Python wurde das ziemlich deutlich vorgeworfen, als sie Ende der 70er den Film gedreht hat.
Er ist eindeutig als Satire gekennzeichnet. Ich finde, da hat sich jemand sehr intensiv mit Thema auseinandergesetzt. Das begrüße ich.

Sie können also über den Film lachen?
Selbstverständlich! Vor allem Satire darf alles, finde ich. Aber eine einzige Grenze sollte man schon ziehen.

Ostern in München: Weiterhin das wichtigste Fest in der Kirche

Nämlich?
Wenn es um die Beleidigung eines Mitmenschen geht. Da sollten wir alle sehr zurückhaltend sein, egal bei welcher Religion.

Wenn jemand Theologie studiert wie Sie, ist er meistens recht religiös, richtig?
Sehr oft, ja. Bei mir kam hinzu, dass ich wissenschaftlich enorm an dem Fach interessiert war.

Weil Sie schon immer viele Fragen dazu hatten?
Ich fand es spannend, sich mit den Fragen zu beschäftigen. Wie ist die Geschichte der Kirche, wie ist Gott, wie kann man von Gott reden, wie legen wir biblische Texte aus, was bedeuten sie? Natürlich spielte auch die religiöse Sozialisierung meines Elternhauses eine Rolle. Zudem gab es einen Pfarrer in der Harlachinger Emmauskirche, der mich sehr geprägt hat.

'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (2)

Kinder von Piloten werden häufig Piloten, Kinder von Ärzten werden häufig Ärzte, sind Sie Sohn eines Pfarrers?
Ich bin der Ur-Enkel einer Pfarrer-Familie. Zuvor, einige Generationen lang, waren tatsächlich alle Pfarrer-Familien.

Ostern ist eines der beiden großen christlichen Feste, die den Lebensrhythmus in Deutschland stark prägen. Welche Bedeutung hat ein Fest wie Ostern für die Gesellschaft in Zeiten von Krieg und Krisen?
An Ostern feiern wir, dass Jesus, nachdem er gekreuzigt wurde, von den Toten wieder auferstanden ist, wie auch immer wir uns das vorstellen mögen. Damit wird der scheinbaren Allmacht des Todes die Macht genommen und der unendliche Wert des Lebens betont.

Wenn ich ganz naiv und neugierig fragen darf, was feiert man da eigentlich, wenn man das alles auf einen Satz verdichten wollte?
Dass das Leben stärker ist, als der Tod. Das ist die Ur-Aussage, dieses Festes.

Lesen Sie auch

Trotz Tanzverbot in München: Es wieder wird laut an den Stillen Feiertagen

Lesen Sie auch

Tipps fürs Osterwochenende: Kunst und Kultur um München entdecken

Stadtdekan der Evangelischen Kirche in München: Bernhard Liess erklärt, wie der Glaube helfen kann

Und die Bedeutung für die Gesellschaft heutzutage?
Ostern hat eine fundamentale Bedeutung. Wir sehen tagtäglich, welche todbringenden Mächte es eigentlich in unserer Welt gibt. Man hat oft das Gefühl, dass alles Negative und Schreckliche so eine große Macht hat, dass Hoffnung und Freude überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen.

Sie sprechen die Kriege an.
Es entsteht auch das Gefühl einer Dauerkrise. Hinzu kommt die Klimakrise. Und da ist Ostern ein Symbol der Hoffnung. Inmitten von alldem – was wir nicht schönreden sollten – ist das Leben stärker als der Tod. Die guten Mächte und Kräfte setzen sich am Ende immer durch. Das Schreckliche dieser Welt bleibt uns oft nicht erspart.

Ist das auch eine Parallele dazu, dass Jesus als Strafmaßnahme gekreuzigt wurde und trotzdem wieder ins Leben zurückkam?
Das eine hängt mit dem anderen zusammen. Und ich finde, das ist die Stärke des Christentums: Es verleugnet nicht das Schlimme und Ungerechte, die Kreuzigung, eine grauenvolle Strafe. Das war ja auch ein Justizirrtum. Es geht teilweise fürchterlich zu in der Welt, Barbarei und Tyrannei. Für das Unrecht, die Gemeinheiten und das Grauen steht das Kreuz. Auf der anderen Seite: das Osterfest. Es steht für die Hoffnung auf neues Leben und den Neuanfang.

Ist das ewige Leben dabei ein Thema?
Das wäre der nächste Schritt. Nach fast allen Religionen ist der Tod nicht das Ende. Der Tod ist nicht stärker als Gott. Und Gott bietet den Menschen auch im Tod Geborgenheit.

Wie kann Gott das alles zulassen, fragen sich viele.
Das Christentum erzählt, dass sogar der Sohn Gottes ungerecht und grausam bestraft wurde. Den Gedanken sollte man nicht vergessen. Unverständlich eigentlich. Das bringt die ganze Rätselhaftigkeit des Leidens zum Ausdruck. Das Kreuz ist nicht einfach nur ein schönes Symbol, sondern es steht auch für das Leiden und die Brutalität in dieser Welt.

'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (5)

Zweifel am eigenen Glauben: Was das Christentum zu sagen hat

Vor etwa einem Jahr habe ich einen Dokumentarfilm auf Arte entdeckt. Darin wurde gezweifelt, ob Jesus tatsächlich gekreuzigt wurde. Ein Bekannter von mir, gläubiger Christ, sagte daraufhin, er findet es schwierig, dass das ganze Christentum auf diesem einen Ereignis basiert. Wie sehen Sie das?
Diese Zweifel werden seit Jahrhunderten formuliert. Zuletzt gab es einen sehr seriösen Historiker, Johannes Fried. Er behauptete erstaunlicherweise, Jesus habe die Kreuzigung überlebt. Ich persönlich halte es für nicht richtig. Die historischen Quellen, die wir haben, christliche und römische, zeigen, dass Jesus von Nazareth hingerichtet wurde und gestorben ist. Daraus zu schließen, es sei da jemand an seiner statt gekreuzigt worden oder Jesus sei gar nicht gekreuzigt worden, nun, das ist sehr sehr unwahrscheinlich.

Warum?
Ganz wissenschaftlich gesehen: Weil es sicher irgendwelche Quellen gegeben hätte, darüber, was dann mit Jesus geschehen wäre, wo er nach der Verurteilung gelebt hätte. Und dazu findet man einfach nichts. Auch säkulare, nicht gläubige Historiker kommen heute zum Schluss, dass Jesus von Nazareth um das Jahr 30 herum gekreuzigt worden und gestorben ist.

Ein brutaler Vorgang.
Grauenvoll. Das müssen wir auch bedenken, wenn wir das Kreuz sehen. Die zentrale Figur des Christentums wurde zu einem qualvollen, ungerechten Tod verurteilt, wegen des Vorwurfs des politischen Aufruhrs. Ein Schicksal, das er damals mit Zigtausenden Menschen in Palästina teilte.

Vereinfacht gefragt: Wie gewinnt man Menschen mit so einem Gründungsmythos für die Kirche?
Indem wir auf die existenzielle Bedeutung hinweisen. Wenn wir nur sagen würden: Jesus ist gestorben, wieder auferstanden und das musst du glauben, damit kommen wir nicht weiter.

Da würden einige sagen, Jesus muss ein großartiger Illusionist gewesen sein.
Möglich. Wir müssen die Frage stellen: Was könnte das Kreuz für dich bedeuten?

Der gedankliche Transfer also?
Ja, dass es im eigenen Leben Momente gibt, in denen wir uns fragen: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Warum ist mir gerade etwas Ungerechtes passiert, warum muss ein ganzes Volk gerade leiden? Ich glaube, auf dieser Deutungsebene hat man eine gute Chance zu vermitteln, was am Karfreitag eigentlich Jesus passiert ist. Im recht nüchternen Realismus des Christentums – den ich sehr wichtig finde. Wir reden nicht alles mit Ostereiern schön. Dagegen merken Menschen irgendwann manchmal ganz zaghaft, dass nach einer großen Krise oder nach einer Krankheit wieder Lebenskräfte zurückkommen.

Würde es an Ihren Grundfesten als Christ rütteln, wenn Jesus tatsächlich nicht gekreuzigt worden wäre?
Für mich wäre es eine große Beeinträchtigung meines Glaubens. Ein großer Zweifel. Christentum braucht schon eine historische Verankerung.

Kirchenaustritte, Skandale: Wie die Kirche trotzdem eine Zukunft haben kann

Die Gesellschaft funktioniert grundsätzlich rational, Gesetzesbücher sind oft Religionsersatz. An vielen Tagen treten Münchner im Fünf-Minuten-Takt aus der Kirche aus. Sind die Skandale eine Gefahr für die Kirchen?
Natürlich ist das eine Gefahr und eine Krise. Die Institution Kirche hat immer den Anspruch, glaubwürdig zu sein. Die Ergebnisse der Missbrauchs-Studie sind furchtbar. Und viele neue Fragen entstehen. Wie etwa: Bin ich denn noch Christ, wenn ich aus der Kirche austrete?

'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (6)

Was wäre Ihre Antwort?
Das muss individuell beantwortet werden. Ich kann anderen Menschen nicht das Christsein absprechen. Wir stellen aber fest, dass es heute nicht mehr selbstverständlich ist, dauerhaft Mitglied einer Institution zu sein. Dennoch glaube ich nicht, dass die Menschen deshalb grundsätzlich nicht religiös ansprechbar sind. Viele Menschen wollen sich einfach nicht mehr von Organisationen vertreten lassen, auch in der Politik und in Gewerkschaften.

Trost, Zuhören: Wie die Kirche in schwierigen Zeiten Hilfe anbietet und wie sie Ostern feiert

Viele Generationen waren ganz selbstverständlich Kirchenmitglied, was sich durch die Skandale verändert hat.
Auch das spielt eine Rolle. Aber Kirchenmitgliedschaft ist heute eine sehr bewusste Entscheidung.

Lesen Sie auch

München wächst – auch auf dem Friedhof in Riem: Größte Erweiterung Deutschlands

Lesen Sie auch

Spitzen-Koch aus München verrät seine besten Rezepte: "Darauf hat man Ostern ...

Der ehemalige FC-Bayern-Trainer Louis van Gaal sagte einmal, er glaube nicht mehr an Gott, weil seine Ehefrau einen leidvollen Tod nach schwerer Krankheit gestorben ist. Ein Gott hätte das nicht zugelassen, sagte er. Wie fangen Sie solche Menschen auf?
Es gibt wenig, was in solchen Momenten trösten kann, man kann nur für die Person da sein, wenn das jemand möchte. Man kann nur sagen: Ich stehe das mit dir durch. Bei dem Thema geht es auch um das Gottesbild. Manche Menschen gehen von einem allmächtigen Gott aus, der zu jeder Zeit gerecht eingreifen kann. Die Allmacht Gottes ist im Christentum aber zumindest mit einem großen Fragezeichen versehen. Das zeigt auch der Karfreitag. Es gibt Seiten Gottes, die wir nicht verstehen können, Fragen, deren Antwort niemand kennt.

Zum Schluss: Was ist Ihre Oster-Botschaft 2024?
Trotz Krieg und Krise: Glaube nicht an Gewalt und nicht an die Mächte der Finsternis, werde nicht zynisch, bleib deinen Werten und dem Leben treu.

Gottesdienste mit Stadtdekan Dr. Bernhard Liess an Ostern: Ostersonntag, 11.15 Uhr, Festgottesdienst in St. Markus, Ostermontag: 11.15 Uhr Festgottesdienst in St. Markus (Gabelsbergerstr. 6).
Katholisch: Im Liebfrauendom beginnt die Feier der Osternacht mit Kardinal Marx am Karsamstag um 21 Uhr. Am Ostersonntag feiert Kardinal Marx um 10 Uhr das Pontifikalamt, um 17 Uhr die Vesper. Ostermontag, Festgottesdienst um 10 Uhr.

'Die Kreuzigung Jesu war auch ein Justizirrtum': Ein Pfarrer aus München erklärt, warum Ostern weiter wichtig ist (2024)

References

Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Nathanial Hackett

Last Updated:

Views: 5922

Rating: 4.1 / 5 (52 voted)

Reviews: 83% of readers found this page helpful

Author information

Name: Nathanial Hackett

Birthday: 1997-10-09

Address: Apt. 935 264 Abshire Canyon, South Nerissachester, NM 01800

Phone: +9752624861224

Job: Forward Technology Assistant

Hobby: Listening to music, Shopping, Vacation, Baton twirling, Flower arranging, Blacksmithing, Do it yourself

Introduction: My name is Nathanial Hackett, I am a lovely, curious, smiling, lively, thoughtful, courageous, lively person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.